Berlin – kreativ, urban, und zukunftsgewandt. Diese Stichworte sind im Stadmarketing präsent und sollen positive Assoziationsketten auslösen. Doch die bauliche Realität ist vielerorts in Berlin eine andere. Gebaut wurde in den letzten Dekaden neben anspruchslosen Investorenarchitekturen oftmals eine hochpreisige und historisierende Architektur; Carrés, Ensembles, Villen, Residenzen, und Townhouses. Eine Architektur, die auf Gediegenheit setzt.
Auf Grundlage des Architekturführers Retrospektive Bauen in Berlin seit 1975 von Verena Hartbaum hat es sich der Künstler Daniel Poller zur Aufgabe gemacht, die schiere Masse derartiger Architekturen fotografisch zu übersetzen. Nicht nur mit dem Titel bezieht sich Poller dabei bewusst auf die 1980 entstandene Werkgruppe „Berlin nach 45“ von Michael Schmidt: In der Bildsprache der New Topographics nahm Schmidt Räume seiner Heimatstadt Berlin in den Blick, die den Zweiten Weltkrieg noch in sich trugen: weite Brachen, menschenleere Ruinen und schmucklose Neubauten im Sand – Leere, Monotonie und Horizontalen wurden durch querformatige Bilder unterstrichen. Die Serie von Poller hingegen besteht aus überwiegend Hochformaten, die – aneinandergesetzt – die baulichen Motive zu einem Gefühl von Enge und Bedrängnis verdichten. Neben pseudo-historischen Bauten, die wie aus dem 3D-Drucker seriell geüplottet erscheinen, wirken auch die Menschen wie Figuren aus der CAD-Bibliothek.
Seine Arbeit provoziert Fragestellungen: Woher rührt das Bedürfnis, Architektur zum Instrument einer Rekonstruktion von Vergangenheit zu machen – und nicht etwa einer noch zu erfindenden Zukunft? Wann begann diese Historisierung des Stadtraums und der gebauten Umwelt? Wenngleich die Anfänge der sogenannten Rekonstruktionsbewegung bis in die 1970er und der 1980er Jahre zurückreichen, stellt der Mauerfall auch hier eine entscheidende Zäsur dar. Berlin sollte baulich-symbolisch Aushängeschild eines wiedervereinigten, „normalisierten“ Deutschlands werden. Hierfür galt es, den Osten architektonisch zu überschreiben und städteräumlich wie historisch eine Vereinheitlichung herzustellen. Diese Bewegung begann mit der „Berlinischen Architektur“ und mündete schließlich in jenen Neohistorismus, der heute das Bauen vielerorts prägt. Die historischen Zitate haben oftmals keine andere Funktion als die Suggestion einer historischen Linearität, die identitätsstiftend wirken soll. Die von Poller fotografisch festgehaltenen Bauten erscheinen vor diesem Hintergrund als anachronistische architektonische Artikulationen einer Gesellschaft, die in ihrer baulichen Formsprache die Idee einer möglichen Zukunft verloren hat und sich anstelle dessen an „Retrotopien“ (Zygmunt Baumann) ergötzt.
Anh-Linh Ngo